Der für die Praxis wichtigste Ausschluss stellt das Vorliegen der "Seegefahr" dar. Es muss sich hierbei um eine zwar nicht ungewöhnliche, aber jedenfalls unter den konkreten Umständen unvorhergesehene Seegefahr handeln. Gerät der Schiffsführer "sehenden Auges" in eine Schlechtwetterzone, kann der Ausschluss nicht eingewandt werden. Bei der Seegefahr muss es sich also um eine Situation handeln, gegen die sich der Verfrachter auch bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht zu schützen vermag. Danach muss es sich um eine die üblichen Begleiterscheinungen des Seetransportes übersteigende Gefahrensituation handeln. In diesem Sinne müssen die Auswirkungen der Seegefahr so gewesen sein, dass der Verfrachter keine wirksamen Vorkehrungen zum Schutz der Ladung treffen konnte, auch wenn der Eintritt der Seegefahr nicht unvorhersehbar war.
Urteil 51: § 608 Abs. I Nr. 1 HGB Container und Seegefahr
Windstärken von 8 bis 9 Bft. in der Biskaya Ende Januar rechtfertigen nicht den Einwand der Gefahr der See (§ 608 Abs. 1 Nr. 1 HGB) [55]. Geht trotz für die Jahreszeit gewöhnlicher Wetterverhältnisse Deckladung über Bord, so spricht die Vermutung dafür, dass der Verfrachter seine Pflicht zur ordnungsgemäßen Sicherung der Deckladung verletzt hat und dadurch eine Ursache für den Verlust und/oder den Schadenseintritt gesetzt hat.
Auch bei einer ungenügenden Befestigung von Gütern auf einem Flatrackcontainer gebietet es die Sorgfaltspflicht eines ordentlichen Verfrachters, ausgleichende Maßnahmen zu ergreifen, um einen Verlust bzw. eine Beschädigung der Güter zu verhindern [56]. Eine Schadenersatzpflicht des Verfrachters folgt daraus, dass die Schiffsführung nach dem ersten Verrutschen der Ladung trotz der sich stark verschlechternden Wetterlage die Fahrt mit gleicher Geschwindigkeit fortgesetzt hat, dadurch die Roll- und Stampfbewegungen des Schiffes beibehielt, sodass die für die Besatzung mittlerweile erkennbar ungenügend gelaschte Ladung der betroffenen Flats über Bord ging bzw. verrutschte. Auch bei einem zum Haftungsausschluss gemäß § 608 Abs. 1 Nr. 5 HGB führenden Verpackungsmangel darf der Verfrachter nicht beliebig mit den Gütern verfahren. Vielmehr gebietet es die Sorgfalt eines ordentlichen Verfrachters, ausgleichende Maßnahmen zu ergreifen, sofern diese Maßnahmen dem Verfrachter möglich und zumutbar sind.
In diesem Zusammenhang kann sich der Verfrachter nicht darauf berufen, es habe insoweit ein nautisches Verschulden der Schiffsführung vorgelegen, für das er gemäß § 607 Abs. 2 HGB nicht einzustehen habe. Unter einem nautischen Verschulden versteht man ein Fehlverhalten bei der Führung oder sonstigen Bedienung des Schiffes. Bei der Entscheidung über die Geschwindigkeit des Schiffes mag es zwar vordergründig um ein positives navigatorisches Tun, nämlich um die Führung des Schiffes hinsichtlich der Fortbewegung gehen. Der Schwerpunkt des Sinngehaltes, bezogen auf das Verhalten der Schiffsführung, liegt jedoch auf dem Unterlassen der im Hinblick auf die mangelhaft gesicherte Ladung einzig richtigen Maßnahme, die Geschwindigkeit aus dem Schiff herauszunehmen, eine Maßnahme, die nach ihrer konkreten Zweckbestimmung allein im Interesse der Ladung lag, nicht aber im Interesse des durch den Seegang und das Wetter keineswegs gefährdeten Schiffes hätte ergriffen werden müssen.
Da dem Verfrachter anzulasten ist, dass er in Kenntnis der mangelhaften Sicherung der Ladung keine ladungssichernden Maßnahmen getroffen hat, § 606 HGB, nämlich die Geschwindigkeit des Schiffes deutlich herabzusetzen, und dem Ablader anzulasten ist, dass die von ihm vorgenommene Laschung der Maschinenteile auf den Flats mangelhaft gewesen ist, § 608 Abs. 1 Nr. 5 HGB, ist unter Anwendung des Rechtsgedankens des § 254 BGB der Schaden entsprechend der gegenseitigen Verursachungs- bzw. Verschuldensbeiträge zu verteilen; hierbei kommt das Gericht zu einer Schadensteilung von einem Drittel zulasten des Klägers und zwei Drittel zulasten des Verfrachters. |
Urteil 52: § 608 Abs. I Nr. 1 HGB Container und Seegefahr
Seegefahr im Sinne von § 608 Abs. 1 Nr. 1 HGB liegt vor, wenn es sich nicht um Fälle handelt, die auf einer bestimmten Reise nach Route und Jahreszeit üblicherweise zu erwarten sind, denen ein seetüchtiges Schiff gewachsen sein muss und für die auch durch ordnungsgemäße Stauung der Ladung, zu deren Erhalt Vorsorge getroffen werden muss [57], sodass es sich in diesem Sinne zwar nicht um eine ungewöhnliche, aber jedenfalls unter den konkreten Umständen unvorhergesehene Seegefahr handeln muss. Dabei geht es um die Gesamtheit der Umstände, die den Schaden herbeigeführt haben. Dabei hat der Verfrachter zunächst zu beweisen, dass ein Fall des § 608 Abs. 1 HGB vorgelegen hat, erst dann greift die Vermutung des § 608 Abs. 2 HGB zugunsten des Verfrachters ein. Im vorliegenden Fall hat der Verfrachter jedoch nicht ausreichend dargelegt, dass eine Seegefahr im Sinne von § 608 Abs. 1 Nr. 1 HGB vorgelegen hat. Die vom Verfrachter vorgetragenen Wetterverhältnisse (Windstärke 8-9 Bft., Dünung von 5 m Höhe) sind für sich genommen nicht als so ungewöhnlich schweres Wetter zu bezeichnen, dass ein Containerschiff der hier in Rede stehende Größenordnung dem nicht gewachsen wäre. Windstärke und Dünung entsprachen jedenfalls den Wetterverhältnissen, mit denen in dem betreffenden Seegebiet (Reise von Montreal/Kanada über St.-Lorenz-Strom, Atlantik, Azoren nach Neapel/Italien) durchaus zu rechnen ist, und denen ein dort eingesetztes Schiff gewachsen sein muss, sodass schon deshalb von einer "Seegefahr" im Sinne des § 608 HGB nicht gesprochen werden kann.
Es liegt auch kein nautisches Verschulden im Sinne von § 607 Abs. 2 Satz 1 HGB vor. Der vom Verfrachter vorgetragene Sachverhalt lässt vielmehr den eindeutigen Schluss zu, dass der Kapitän des Schiffes die nautisch richtige Entscheidung getroffen hat, dem heranziehenden Sturmtief so weit wie möglich auszuweichen.
Zu seiner Entlastung im Rahmen von § 606 Satz 2 Halbsatz 2 HGB muss der Verfrachter die konkrete Schadenursache aufklären. Der Verfrachter muss beweisen, dass der Verlust oder die Beschädigung auf Umständen beruht, die durch die Sorgfalt eines ordentlichen Verfrachters nicht abgewendet werden konnten. Den Nachweis des Nichtverschuldens muss der Verfrachter auch für seine Leute und die Schiffsbesatzung führen. Die gesetzliche Regelung läuft darauf hinaus, dass der Verfrachter die Umstände beweisen muss, die zum Verlust oder zur Beschädigung geführt haben. Er muss somit die konkrete Schadenursache aufklären. Dabei genügt es nicht, dass der Verfrachter mehrere mögliche Schadenursachen ausschließt, solange noch andere Ursachen denkbar sind.
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§ 608 HGB (Vermutete Nichthaftung des Verfrachters)
- Der Verfrachter haftet nicht für Schäden, die entstehen:
- aus Gefahren und Unfällen der See oder anderer schiffbarer Gewässer
- aus kriegerischen Ereignissen, Unruhen, Handlungen öffentlicher Feinde oder Verfügungen von hoher Hand sowie aus Quarantänebeschränkungen
- aus gerichtlicher Beschlagnahme
- aus Streik, Aussperrung oder einer sonstigen Arbeitsbehinderung
- aus Handlungen oder Unterlassungen des Abladers oder Eigentümer des Gutes, seiner Agenten oder Vertreter
- aus der Rettung oder dem Versuch der Rettung von Leben oder Eigentum zur See
- aus Schwund an Raumgehalt oder Gewicht oder aus verborgenen Mängeln oder der eigentümlichen natürlichen Art oder Beschaffenheit des Gutes.
- Ist ein Schaden eingetreten, der nach den Umständen des Falles aus einer der in Absatz 1 bezeichneten Gefahren entstehen konnte, so wird vermutet, dass der Schaden aus dieser Gefahr entstanden ist.
- Die Haftungsbefreiung tritt nicht ein, wenn nachgewiesen wird, dass der Eintritt der Gefahr auf einem Umstand beruht, den der Verfrachter zu vertreten hat.
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Abbildung 34: § 608 HGB (Vermutete Nichthaftung des Verfrachters)
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